Arbeiten ganz ohne Arbeitszeitvorgabe, Arbeitsplatz und Urlaubstage. Einfach so, wie es einem gerade in den Tag passt. Arbeit ausfallen lassen, wenn man nicht in der Laune ist und anpacken wenn die Motivation einen trifft. Kann das funktionieren?
Auch gern unter dem Thema Work-Life-Balance diskutiert: Immer wieder hört man von erfolgreichen Unternehmen, die ihren Mitarbeitern völlige Freiheit lassen, zu entscheiden: wieviel Urlaub sie brauchen, wie lange und wann sie täglich arbeiten, wie ihr Arbeitsplatz aussieht oder ob sie Home-Office machen. Ja, manchmal sogar das Gehalt, das sie verdienen.
Wie viel Kontrolle ist notwendig?
Immer wenn ich von solchen Unternehmen lese oder höre, denke ich mir… Funktioniert das wirklich? Kann das auch bei mir im Unternehmen funktionieren? Wie viel Kontrolle ist notwendig und wann bricht das Chaos aus? Ist jeder für eine solche Art von Organisation geschaffen?
Im Gespräch mit einem Freund, dessen Arbeitgeber seit kurzem den Arbeitsplatz und die Arbeitszeit abgeschafft hat, erfahre ich, wie es nicht funktioniert: Durch Befreiung von Arbeitszeitvorgaben ist plötzlich das Ergebnis des Mitarbeiter zum einzig messbare Wert geworden. Gewonnen hat, wer sich gut einschätzen kann. Verloren haben die, die ihren Zielen hinterher rennen und schon kriminell anmaßende Nachtschichten schieben. Da Zeiterfassung nicht mehr existiert, gibt es auch keinen Überstundenausgleich mehr und Mitarbeiter verbrennen.
Aber sind die Unternehmen, die die Balance schaffen nur Märchen? Oder gibt es noch ein paar ungeschriebene Gesetze und Regeln, mit denen mehr Flexibilität möglich ist?
Der Autor Daniel H. Pink beschäftigt sich in seinem Buch “Drive” sehr intensiv mit der Motivationsforschung. Er stellt fest, dass nur Weniges, was die Wissenschaft zum Thema Motivation herausgefunden hat, im Alltag der Wirtschaft Anwendung findet.
Warum wir ohne Bezahlung arbeiten
Als großes Beispiel, nennt er das Projekt “Encarta” von Microsoft. Einem gewaltigen Projekt, bei dem hunderte bezahlter Autoren über 50.000 Artikel verfassten, um eine umfangreiche digitale Enzyklopädie zu erstellen. Das Projekt wurde 2009 endgültig eingestellt. Wikipedia hatte mit tausenden ehrenamtlichen Autoren das Projekt überflüssig gemacht. Was motiviert all diese Menschen, auch noch kostenlos etliche Stunden damit zu verbringen, Texte zu verfassen, Quellenarbeit zu leisten und zu korrigieren? Dinge, die ich nicht mal für Geld länger als eine Woche machen wollen würde.
Hier kommt die Motivationsforschung ins Spiel. Sie definiert 3 Antriebe, die uns dazu bewegen, das zu tun, was wir täglich tun.
Den ersten Antrieb, gibt uns unsere biologische Beschaffenheit vor. Er besteht aus: Hunger, Durst und Sex. Am Leben bleiben und sich Fortpflanzen, das ist unser primitivster Antrieb.
Der zweite Antrieb besteht aus Zuckerbrot und Peitsche. Wir versuchen durch Belohnungen Befriedigung zu erlangen und Bestrafungen zu vermeiden. Ein Ansatz, der die meisten Angestellten motiviert morgens pünktlich auf der Arbeit zu erscheinen.
Der dritte Antrieb, ist der, den Wikipedia beflügelt hat, die vom zweiten Antrieb motivierten Autoren des Encarta-Projektes zu überflügeln. Es ist die intrinsische Motivation. Die Wissenschaft zeigt uns, dass intrinsische Motivation viel stärker ist, als die extrinsische, die beim zweiten Antrieb zum Einsatz kommt. Das, was uns innerlich Motiviert, sind die drei Elemente“Selbstbestimmung”, “Perfektionierung” und “Sinnerfüllung”.
Die Kraft der intrinsischen Motivation
Und die größte Erkenntnis zum Schluss: Auch wenn die intrinsische Motivation die stärkere ist, lässt sie sich durch extrinsische Motivationen ausschalten. Sprich: Wenn ich etwas aus einer inneren Motivation gerne mache und mir dann aber jemand dafür Geld bietet (extrinsischer Motivator), dann kann es durchaus passieren, dass ich meine innere Motivation verliere.
Das kostet dem Motivator (Unternehmen) zum einen Geld und zum anderen hat uns die Wissenschaft auch gezeigt, dass die extrinsischen Motivationsfaktoren eine viel geringere Halbwertszeit haben, als die inneren.
Wirft man mit diesem Wissen nochmal einen Blick auf die obigen Fragen, wird einem doch einiges klar. Wenn die Leistung meiner Mitarbeiter alleine an ihren Arbeitsstunden (extrinischer Faktor: Zeit=Geld) gemessen werden, erhalte ich auch genau das: Mitarbeiter die Zeit verbraten und schlimmstenfalls einen Boreout bekommen.
Belohne ich andere Faktoren, bekomme ich genau das, was ich belohne:
Verkaufsabschlüsse mit hohen Margen, die aber die Kunden vergraulen.
Kurze Gespräche in Callcentern, die Zeit sparen und individuelle Probleme ignorieren (kosten den Mitarbeiter Zeit = Bonus)
Aktionäre, die auf kurzfristige Kursziele pokern und langfristige gesunde Investitionen bestrafen.
… Die Liste ließe sich recht lang fortsetzen.
Aber auf der anderen Seite: Wenn ich jedem erlaube zu kommen und zu gehen wenn er will…? Ein signifikanter Anteil der Angestellten in großen Unternehmen hat innerlich bereits gekündigt. Wenn man denen jetzt auch noch erlaubt, zuhause zu bleiben, dann würden sie doch genau das tun, oder nicht? Das reine Einräumen von Freiheit ist also nicht der richtige Weg.
Die Schlüssel der Motivation
Die drei Elemente “Selbstbestimmung”, “Perfektionierung” und “Sinnerfüllung” sind daher der Schlüssel bei der Motivation von Mitarbeitern. Hier schließt sich auch der Kreis zu den anderen Büchern wie “Big Five for Life”, “der Bienenhirte” oder auch “das Cafe am Rande der Welt”.
Ein Unternehmen, das sich von den starren Regeln der Vergangenheit lossagen möchte, braucht eine klare und tragende Vision auf die sich jeder Mitarbeiter verständigen kann, und nach der jeder selbstbestimmt Aufgaben und Ziele finden und bearbeiten kann.
In dem die tragende Vision jedem unmissverständlich klar macht, warum, er tut, was er tut, gibt es auch eine Sinnerfüllung. Die Autoren bei Wikipedia haben all diese Stunden investiert, weil sie Teil eines weltweiten und unglaublich großen und wertvollen Projektes sein dürfen: Das Wissen der Welt jedem frei zur Verfügung zu stellen.
Schaffe ich dann noch einen Ort, an dem jeder persönlich wachsen und seine Fähigkeiten perfektionieren kann, dann kann man bei der Arbeit den Flow-Zustand erleben: Einem Zustand der optimalen Erfahrungen, bei dem die Herausforderungen, auf die wir stoßen, unseren Fähigkeiten bestens entsprechen. Das ist der Moment, bei dem man nachts um drei überraschend feststellt, dass man die Mittagspause verpasst hat ?.
Die Kraft einer Vision
Mitarbeiter, die derartig motiviert im Unternehmen arbeiten dürfen, brauchen keine Überwachung, keine Vorgaben und Stechuhren. Sie müssen nicht mit Boni motiviert werden, ihre Wochenziele zu erreichen. Die Entscheidung, wann sie zur Arbeit kommen, wird anhand dessen gefällt, wie sie im Projekt am besten voran kommen und die Urlaubszeit wird so gewählt, dass sie optimal Kraft spendet um neue Wunder zu vollbringen.
Die große Schwierigkeit für Unternehmer besteht also nicht darin, das richtige Zuckerbrot und die lauteste Peitsche zu nutzen. Sondern eine Vision für das Unternehmen zu finden und jeden Mitarbeiter mit ihr mitzureißen. Und das ist deutlich schwieriger als mit Furcht und Boni zu wedeln. Aber ich glaube es zahlt sich aus, hier seine Kraft zu investieren und für die Mitarbeiter dankbar zu sein, die mit einem auf Reise gehen und die gleiche Vision teilen.
Kurze Anmerkung zum Schluss: Ich habe mich sehr stark auf die Visionsseite des Buches “Drive” konzentriert. Der Autor geht noch viel tiefer in die Arten von Belohnungen und dessen Wirkung ein und gibt konkrete Vorschläge, wie auch extrinsische Maßnahmen sinnvoll einzusetzen sind. Dies sprengt allerdings den Rahmen dieses Beitrags. Hier empfiehlt es sich, das Buch komplett zu lesen. Vielleicht werde ich in Zukunft auch nochmal den einen oder anderen Aspekt in einem weiteren Beitrag aufgreifen.
Cover-Photo by Xan Griffin on Unsplash
10 Gedanken zu „Was uns wirklich motiviert“